Wir begannen, ihn Vater zu nennen

Lola Pardo Conde, Spanien

Ich erinnere mich, daß ich den Vater – so nennen wir den heiligen Josefmaria – nach Beendigung des spanischen Bürgerkrieges kennenlernte.

Er kam in Begleitung mehrerer Jungen vom Werk nach Valladolid, wo er die Bekanntschaft von Studenten, darunter von meinem Bruder Adolfo, machte.

Zuerst empfing er sie in den verschiedenen Hotels, wo er unterkam: „Hotel España“, „Hotel Castilla“, usw. Als die apostolische Arbeit größer und intensiver wurde, suchten sie eine Wohnung. „El Rincón“ (Der Winkel) wurde am 2. Mai 1943 vom Vater gesegnet. Er brachte auch eine kleine Statue der Muttergottes mit, die auf das Kaminsims im Wohnzimmer gestellt wurde. Dort hatte der Vater seine Treffen mit den Studenten und bildete sie geduldig im Geist des Opus Dei aus. Er hielt ihnen auch geistliche Betrachtungen, die ihr Gebet formten.

Meine Mutter, die in ihrem noch jungen Alter gerade Witwe geworden war und fünf Kinder hatte, war besorgt, wo mein Bruder Adolfo jeden Nachmittag zum Lernen hinging. Eines Tages kam ein Onkel zu uns, der auch unser Vormund war, und erzählte ihr Schlimmes über das Opus Dei. Er wiederholte einige der Verleumdungen, die damals in Umlauf waren. Meine Mutter war sehr verärgert und sprach mit meinem Bruder, der ihr sagte, dort spreche man nur von Gott, man würde lernen und den Rosenkranz beten, aber wenn es sie beruhigte, könne sie ja mit dem Priester , der das Opus Dei gegründet hatte, sprechen, wenn er in unsere Stadt käme.

Und so geschah es; der heilige Josefmaria kam nach Valladolid, und als er von den Ängsten meiner Mutter erfuhr, sagte er meinem Bruder, er würde zu uns nach Hause kommen. Er kam am Nachmittag. Seine ganze Haltung spiegelte seine priesterliche Würde wider, er war umgänglich und liebevoll. Wir alle waren beeindruckt von seiner Freude, und wegen seiner ruhigen und spontanen Art zu sprechen, begannen wir, ihn Vater zu nennen. Im Laufe des Gespräches fragte meine Mutter mit ihrer typisch kastilischen klaren Ausdrucksweise: „Man sagt, Sie seien Freimaurer“.

Die Stimme des Vaters blieb herzlich und gelassen: „Meine Tochter, sollen sie doch sagen, was sie wollen“, war seine Antwort. Dann erklärte er uns, dass die Mitglieder des Opus Dei einzig und allein versuchen, Gott, die Kirche und den Papst zu lieben und durch ihre gut getane berufliche Arbeit viele Menschen Gott näher zu bringen.

Uns fünf Geschwister, die wir atemlos seinen Worten lauschten, sah er liebevoll an und sagte zu uns, wir müssten die Welt für Christus erobern und ihn an der Spitze aller menschlichen Tätigkeiten aufleuchten lassen. Und das würden wir erreichen, wenn wir wie die ersten Christen viel beteten. Danach sprach er von seinen Töchtern - so nannte er familiär die Frauen, die zum Werk gehörten. Sie würden auch zu uns kommen , um uns kennenzulernen.

Mehrere Wochen später kam der Gründer des Opus Dei zu uns zum Essen. Wir erwarteten ihn voll Freude, denn weiterhin beeindruckte uns sein großer Glaube in allem, was er tat.

Als der Vater das Haus verließ, sagte mein Bruder Miguel, der damals zehn Jahre alt war, zu meiner Mutter: „Mama, pass gut auf diesen Sessel auf, denn dieser Priester wird einmal ein Heiliger sein:“

Kurz darauf kam Encarnita Ortega, eine der ersten Frauen, die um die Aufnahme ins Opus Dei bat, zu uns. Sie lud uns ein, im Studentinnenheim Zurbarán in Madrid Besinnungstage zu machen. Meine Schwester Maria Luisa und ich fuhren hin.

Don José luis Múzquiz, einer der ersten drei Mitglieder des Opus Dei, die zu Priestern geweiht wurden, hielt uns die erste Betrachtung. Er hustete ständig. Am nächsten Morgen erschien der heilige Josefmaria und sagte zu uns: „Ihr habt Pech, denn diesem Sohn von mir ging es schlecht, als er nach Hause kam. Ich komme als Ersatz, aber ich bin eine Katastrophe.“

Als er das Gebet mit den Worten: „Mein Herr und mein Gott“ begann, machte das auf mich einen großen Eindruck, denn man merkte, dass er in Gott versunken war. Dann sprach er über den unendlichen Wert der heiligen Messe; von da an bin ich täglich zur Messe gegangen, wenn ich nicht krank war.

Diese ersten Besinnungstage werde ich nie vergessen, denn ich bin Gott sehr dankbar, dass ich das Glück gehabt habe, sie mit dem heiligen Josefmaria zu machen. Sie haben trotz meiner Jugend und Unreife meiner Seele sehr gut getan.

Es verging noch viel Zeit, bis ich 1964 um die Aufnahme ins Opus Dei als Supernumerarierin bat.

Später habe ich den Gründer bei Treffen mit vielen Menschen wiedergesehen. Als ich schon vom Werk war, sagte er einmal, dass wir die Fehler unserer Ehemänner lieben müssten, solange sie keine Beleidigung Gottes darstellen, denn durch sie heiligen wir uns. Ihnen sagte er dasselbe hinsichtlich ihrer Frauen.

Niemals hätte ich gedacht, dass ich die Heiligsprechung des Vaters miterleben würde; das war wirklich eine der außerordentlichen Freuden in meinem Leben. Ich sage Gott immer Dank dafür. Und in meinen Ohren klingen weiter jene Worte, die ich den heiligen Josefmaria habe sprechen hören, als er die Betrachtung in meinen ersten Besinnungstagen begann: „Mein Herr und mein Gott“.