Sommer ohne Hängematte

Wenn Kardinal Pizzardo mit Msgr. Escrivá zusammen war, nahm er dessen Kopf in beide Hände und ohne sich darum zu kümmern, ob jemand dabei war oder nicht, drückte er ihm einen lauten Kuss auf die Stirn. Gleichzeitig rief er aus: - Danke, von Ihnen habe ich gelernt, mich zu erholen!

Sommer ohne Hängematte. „Dieser Mann trägt in sich eine Atombombe.“ „Vater, das ist unfair.“ Castelletto del Trebbio. Ein Auswärtiger und dazu eine Leihgabe.

Wenn Kardinal Pizzardo mit Msgr. Escrivá zusammen war, nahm er dessen Kopf in beide Hände und ohne sich darum zu kümmern, ob jemand dabei war oder nicht, drückte er ihm einen lauten Kuss auf die Stirn. Gleichzeitig rief er aus:

- Danke, von Ihnen habe ich gelernt, mich zu erholen!

Und wenn er dann die erstaunten Blicke seiner Umgebung sah, bekannte er:

- Ich war einer von denen, die denken, dass man in diesem Leben nur arbeiten oder die Zeit verlieren kann. Aber er hat mir eine klare und wunderbare Idee vermittelt: sich ausruhen heißt nicht Nichtstun, es ist kein faules dolce far niente, sondern es bedeutet, seine Tätigkeit zu wechseln, eine Zeitlang etwas anderes Nützliches und Entspannendes zu tun. (*)

Pizzardo, eine wichtige Persönlichkeit des Vatikan, war Sekretär des Heiligen Offiziums und Präfekt der Kongregation für die Priesterseminare und Universitäten. Er wusste wohl, was es heißt zu arbeiten. Aber er musste noch diese Lektion des aktiven Ausruhens, der bereichernden Erholung, des Ausruhens lernen, das keinen Zeitverlust bedeutet.

Auch Escrivá reagierte viele Jahre lang auf den Hinweis, seine frenetische Aktivität zu bremsen, mit der Antwort: „Ich werde ausruhen, wenn man mir sagt: Requiescat in pace.

Mit der Zeit verstand er, dass dies ein irriger Grundsatz war. Und das sagte er auch laut: „Man kann nicht den Körper und den Kopf in beständiger Spannung halten, denn am Ende platzen beide.“

Trotzdem war es ihm bis 1958 nicht möglich, eine Zeit der Erholung einzuplanen.

Von 1958 an beginnt Escrivá, im Sommer wegzufahren: nach Großbritannien, Irland, Frankreich und Spanien. Er kommt jeweils in gemieteten oder geliehenen Häusern unter. So verbringt er 1958, 1959 und 1960 einige Juli- und Augustwochen in Woodlands, einem gemieteten Chalet im Norden von Hampstead Heath, am Ende der Courtenay Avenue in London.

In all diesen Sommern verbindet er Erholung und Studium und vermittelt außerdem den Mitgliedern und den Einrichtungen des Opus Dei neuen Schwung; und das nicht nur in Großbritannien und Irland, sondern auch auf dem Kontinent. Mit dem Auto besucht er 1960 verschiedene Städte in Frankreich, Spanien und Deutschland; und 1962 reist er nach Österreich, in die Schweiz und nach Frankreich.

Im Sommer 63 ruht er sich einige Zeit in einem Haus in Navarra, zwischen San Sebastián und Pamplona, mit Namen Reparacea aus. Und 1964 in Elorrio, einem Dorf in der Bizcaya.

Alvaro del Portillo und Javier Echevarría, die ihn immer begleiten, bittet er, ihm für diese Urlaubszeit Vorschläge und Arbeitsprogramme zu machen, die eine andere Materie als sonst zum Inhalt haben. Wenn er Rom verlässt, macht er eine freiwillige „Gehirnwäsche“, er koppelt sich völlig von seiner gewöhnlichen Arbeit ab und delegiert alle Aufgaben der Leitung des Werkes, die er abgeben kann. Aber sein Verstand – ein mächtiger Dynamo von Ideen – kann nicht ruhig bleiben.

Der Wiener Psychiater Viktor Frankl – ein Schüler Freuds und wie dieser Jude, der es verstanden hat, seinen Meister rechtzeitig zu entmystifizieren – lernte Josemaria Escrivá kennen. Nachdem er ihn einmal in Villa Tevere besucht hatte, machte er folgende Bemerkung: „Dieser Mann trägt in sich eine regelrechte Atombombe.“ Nun, in diesen Sommern liest, studiert und schreibt Escrivá und außerdem kommen ihm noch Hunderte und Tausende von kühnen Initiativen, schöpferischen Lösungen, unerwarteten Funden in den Sinn, die er selbst aufschreibt oder seinen Begleitern diktiert, um sie in die Tat umzusetzen, sobald er für das neue Arbeitsjahr nach Rom zurückkommt.

Vielleicht ist das Erstaunlichtste an den Ferien von Msgr. Escrivá sein bescheidener Aufwand, sein leichtes Gepäck. Auf jeden Fall sind es keine Ferien unter einem Sonnenschirm. Auch nicht am Strand und mit Hängematte. Auch nicht im Seebad und auf dem Sofa. Unter den wenigen Gepäckstücken, die der beige Fiat 1100 transportiert, finden sich keine Angelgeräte, keine Tennisschläger und keine Golfschläger. Auch keine Fahrräder, selbst wenn man so schön sagt, dass „die Fahrräder für den Sommer da sind“. Escrivá hatte in seinem Leben keine Zeit, um einen anderen Sport als gehen zu erlernen.

Seit Msgr. Escrivá 1965 anfängt, den ferragosto außerhalb Roms zu verbringen, praktiziert er einen anderen „billigen“ Sport, der keinen besonderen Platz oder eine Anlage braucht: boccia. Ein Spiel mit Kugeln, dessen Charme mehr in der Treffsicherheit als in der Kraft liegt. Man muss sich auch bücken, die Kugeln rollen, sich wieder aufrichten... Da das „Spielfeld“ ein einfacher unbearbeiteter Platz ist, staubt es bei boccia sehr. Er zieht sich also jeden Tag von oben bis unten um, d.h. er legt die Soutane ab, zieht ein paar alte Hosen, ein altes Hemd und schwarze Leinenschuhe an.

Er ist nicht übermäßig gut in boccia. Aber sie spielen zu viert, paarweise, und der Wettkampfcharakter bringt doch Spaß und Abwechslung ins Spiel. Escrivá spielt meist mit dem Architekten Javier Cotelo, einem Mitglied des Werkes, der auf den Fahrten am Steuer sitzt, gegen Alvaro del Portillo und Javier Echevarría. Dieses Tandem gewinnt von allen Spielen alle. Es ist lustig zu sehen, wie Escrivá versucht, den geborenen Gewinnern ein Hindernis in den Weg zu legen. Manchmal gibt er ihnen einen leichten Stoß, wenn sie die Kugel werfen wollen, so dass sie dabei das Gleichgewicht verlieren.

- Vater, das gilt nicht! Das ist unfair!

- Aber, Alvaro, das gehört zum Spiel...! Seid ihr nicht stolz darauf, so gut zu sein? Nun, irgendeine Schwierigkeit müsst ihr doch überwinden...!

Eines Tages spielen die beiden Gruppen schon eine Zeitlang. Nur noch eine Kugel muss rollen: die von Escrivá. Mit ein bißchen Glück könnte er die höchste Punktzahl erreichen, wenn er sie mit einem geschickten Wurf in die Nähe der kleinen Prämien-Kugel plazieren würde.

Escrivá wirft. Und zum Erstaunen aller, einschließlich seiner selbst, bleibt die Kugel direkt neben der Prämien-Kugel liegen. Daraufhin erklärt er an Ort und Stelle mit dem Gesicht eines überführten Jungen:

- Ich tue es nicht wieder... Das ist ja noch schlimmer als die Tricks von immer... Soll ich euch verraten, was ich getan habe?

Alle drei schauen erwartungsvoll auf ihn. Escrivá senkt die Stimme, wie aus Scham vor dem, was er sagen wird.

- Bevor ich die Kugel geworfen habe, habe ich mich intensiv dem Schutzengel empfohlen, damit ich es gut mache... Aber jetzt wird mir klar, dass es recht primitiv ist, den Schutzengel in ein Spiel einzubeziehen, das nicht die mindeste Transzendenz besitzt.

1965 überlässt ihnen Scaretti, ein Freund von Alvaro del Portillo, das Haus eines Anwesens für Viehzucht in Castelletto del Trebbio , ungefähr zwanzig Kilometer von Firenze (Florenz) entfernt. Einzige Bedingung: Mitte August müssen sie es wieder verlassen, denn dann möchte er mit seiner Familie dorthin kommen.

Das Haus zeigt alle Anzeichen von Alter und Verschleiß. Es ist weit davon entfernt, ein bequemer Ort zu sein. Es gibt kein Telefon und kein Fernsehen. Um es zu erreichen, muss man über einen unasphaltierten Weg für das Vieh auf einen hohen Hügel steigen. Im näheren Umkreis liegen nur Felder. Und in dem Gebiet herrscht wie fast überall in der Toskana kontinentales Klima: sehr kalt im Winter und sehr heiß im Sommer.

Escrivá, Del Portillo, Echevarría und Cotelo verbringen während der Monate Juli und August mehrere Wochen in Il Trebbio.

Hier in Il Trebbio – und überall, wo er seine Ferien verbringt – ist sich Escrivá permanent bewusst, dass er ein Gebäude, Möbel und Hausrat benutz, das nicht ihm gehört, und er bemüht sich, nichts zu beschädigen. Wenn sie Möbel rücken, weil sie Platz zum Arbeiten oder Studieren brauchen, beauftragt er Javier Cotelo damit, „eine Zeichnung der ursprünglichen Anordnung des Zimmers anzufertigen, damit wir es so hinterlassen, wie es war.“ Er achtet auch darauf, dass die Möbel nicht die Wand berühren; oder dass eine Glühbirne ersetzt wird, selbst wenn man dafür bis zum Dorf gehen muss, um eine neue zu kaufen.

Ihm macht es nichts aus, ein Auswärtiger und auf eine Leihgabe angewiesen zu sein. Es hilft ihm vielmehr, es sich nicht allzu bequem zu machen und nicht zu vergessen, dass er arm ist. Er pflegt das fremde Eigentum wie sein eigenes. Während eines Sommers in London fällt ihm auf, daß es eine Ameisenstraße gibt, auf der die Tiere in perfekter Ordnung vom Garten durch die Tür und durch das Wohnzimmer kommen, um auf dem Balkon wieder hinauszuwandern. Er ruft Dora und Rosalía und bittet sie um einen Staubsauger. Dann geht er mit Hilfe von Javier Echevarría an die „Ausrottung durch Absorption“ dieser ganzen „Truppe“.

Jahre später, als er den Sommer in Premeno, in Norditalien verbringt, wird er eine ähnliche Aktion starten, dieses Mal mit einem riesigen Stock, während Javier Echevarría und Javier Cotelo den Ameisenhaufen zerstören, indem sie ihn mit Benzin anzünden... Welcher Mann, sei er noch so berühmt, weise oder heilig, spielt nicht gerne jungenhaft Krieg mit dem nützlichen Vorwand, einige Insekten zu „vernichten“?

In diesen Wochen legt sich Escrivá einen Stundenplan zurecht, in dem es Zeit zum Gebet, zur Arbeit und zum Sport und auch für Spaziergänge und kleine Ausflüge gibt...

Er konzentriert sich in seiner Arbeit auf die Revision eines seiner Texte – der Instruktion über das Werk das heiligen Gabriel – das sich auf die Supernumerarier des Opus Dei und die Arbeit mit Verheirateten bezieht.

Escrivá hat diesen Text im Mai 1935 begonnen und im September 1950 beendet. Aber in diesen Jahren gab es noch keine Fotokopierer, das Vervielfältigungsgerät war von schlechter Qualität und in Villa Tevere funktionierte die Druckerei noch nicht. Um den Text also den verschiedenen Ländern, wo das Werk arbeitete, zukommen zu lassen, wurde er neu getippt. Einige Kopisten hatten allerdings ungewollt Fehler in der Syntax und in der Zeichensetzung gemacht; ja, sie hatten sogar Wörter übersprungen. Dasselbe war auch mit anderen Instruktionen passiert (der über das Werk des heiligen Rafael, das sich auf das Apostolat mit den jungen Leuten bezieht; der über das Werk des heiligen Michael über die zölibatären Mitglieder, Numerarier und Assoziierte). Escrivá ließ alle diese Texte zurückkommen und verfertigte einen endgültigen Text, der in der Druckerei von Villa Tevere gedruckt werden würde. Und diese Ausgabe bereitete er in diesem Augenblick vor.

Er hat also vor Augen, wie durch die Auslassung eines Adverbs oder durch die falsche Setzung eines Kommas oder eines Punktes der gesamte Sinn eines Satzes geändert werden kann – und das ist besonders schwerwiegend bei Texten, die ihren Gründungscharakter behalten müssen. Daher betont Escrivá vor Alvaro und Javier Echevarría die Notwendigkeit, „dass wir uns alle anstrengen, die Arbeiten gut zu beenden, denn Gott können wir keine Schlamperei anbieten“. In diesen Tagen besteht er besonders auf der „Askese der kleinen Dinge“.

Er verfolgt auch die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils. Er betet für die großen Themen, die noch debattiert werden müssen: das der Ordensleute und der Priester. Er sagt Dank für den Text von Lumen Gentium, in dem man so etwas wie das Echo einiger Aspekte des Geistes des Opus Dei erkennen kann, die so in den Schatz der Lehre der Kirche aufgenommen, feierlich verkündet und empfohlen werden. Escrivá verbringt viele Stunden in der kleinen Hauskapelle, die sie in Il Trebbio eingerichtet haben, und dankt für diese Bestätigung durch die Kirche von etwas, das viele Jahre lang kritisch beurteilt, nicht verstanden und nicht akzeptiert wurde.

Da es im Haus kein Fernsehen gibt und die Zeitung sehr spät ankommt, bittet Escrivá jeden Tag nach dem Spaziergang Alvaro del Portillo – genau so: er bittet ihn –, er möge das Radio anmachen, damit sie die Mittagsnachrichten hören können. Er möchte auf dem Laufenden sein über das, was in er Welt passiert. Während er die Nachrichten hört, macht er fast immer einen Kommentar übernatürlicher Art und fordert seine Begleiter auf, für ein bestimmtes Land, für eine Situation, für einen Menschen zu beten...

Auszug aus dem Buch: El hombre de Villa Tevere (17. Kap.) von Pilar Urbano, Verlag Plaza y Janés.

Die für dieses Kapitel nötigen Informationen konnte nur jemand beibringen, der mit Josemaría Escrivá in den Sommern, von denen hier berichtet wird, zusammen war. Und so war es auch. Die Verfasserin dankt Msgr. Javier Echevarría für die unschätzbare Hilfe, die seine direkten Erzählungen, geschrieben oder auf Band gesprochen, bedeutet haben. Und ebenfalls für die Großzügigkeit, mit der er seine Zeit zur Verfügung gestellt hat, für das Material und die manchmal mühsame Erinnerung, um auf den ziemlich detaillierten Fragenkatalog zu antworten.

Dank dieses wertvollen Beitrags konnte man neun bis dato unveröffentlichte Lebensabschnitte von Escrivá rekonstruieren: die neun Sommer zwischen 1965 und 1973.