Der heilige Josefmaria und die Sprachengabe

Die Welt für Gott erobern, ihn an die Spitze aller Tätigkeiten der Menschen stellen, das Reich Gottes ausbreiten – das war ein Unternehmen, für das Gott ein ungeeignetes Werkzeug ausgesucht hatte - so sah sich der Gründer des Opus Dei angesichts seiner riesigen Aufgabe.

Im vollen Bewußtsein der Sendung, die Gott ihm anvertraut hatte, zog der heilige Josefmaria im November 1932 folgende Schlußfolgerung hinsichtlich des Wertes seiner Person vor Gott und der Aufgabe, die er in Angriff nehmen sollte: „Nichts, im Vergleich mit dem Wunder, das sich auf ein überaus armes und sündhaftes Werkzeug stützt, das nach deinen Eingebungen für seinen Gott die Eroberung der ganzen Welt plant, von dem seltsamen Beobachtungsstand eines Innenraumes in einem bescheidenen Haus aus, wo jede Unbequemlichkeit zuhause ist.“ (1)

Die Welt für Gott erobern, ihn an die Spitze aller Tätigkeiten der Menschen stellen, das Reich Gottes ausbreiten – das war ein Unternehmen, für das Gott ein ungeeignetes Werkzeug ausgesucht hatte. Aber seine Demut führte ihn nicht dazu, aufzugeben, da er wußte, daß er ein Kind Gottes war. Darum schrieb er auch: „Gott bedarf meiner nicht. Die Auserwähnlung ist liebevolle Barmherzigkeit seines heiligen Herzens.“ (2)

Die Berufung, die an ihn ergangen war, verlangte von ihm, „Vater, Lehrer und Führer von Heiligen“ (3) zu werden; seine Botschaft sollte alle Menschen erreichen und auf der ganzen Erde widerhallen. Sie sollte die Seelen bewegen, sie die Nähe Gottes spüren lassen und Reaktionen der Ganzhingabe an die Liebe Gottes hervorrufen.

Die geistliche Botschaft, die er ausnahmslos allen Menschen bringen sollte, war „alt wie das Evangelium und wie das Evangelium neu“: „Kinder Gottes sind wir. Träger der einzigen Flamme, die die Wege der Menschen auf Erden zu erhellen vermag; des einzigen Lichtes, vor dem Finsternis, Dämmerung, Schatten für immer entweichen. Der Herr bedient sich unser als Fackeln, damit dieses Licht hell erstrahlt... An uns liegt es, daß viele Menschen nicht im Dunkeln stehenbleiben, sondern Wege gehen, die zum ewigen Leben führen.“ (Im Feuer der Schmiede, 1)

Der heilige Josefmaria sah sich als Werkzeug in den Händen Gottes. Alle Mittel, über die er in jenem Augenblick verfügte, waren seine priesterliche Arbeit, seine Jugend und seine gute Laune. Aber schon damals dachte er daran, zu allen Menschen in der Welt zu gelangen. „Obwohl ich mich der Tugend und des Wissens bar fühle - und das meine ich ehrlich, ohne etwas vorgeben zu wollen -, möchte ich einige Bücher schreiben, voll Feuer, die über die Welt gehen sollen wie eine lodernde Flamme: die den Menschen ihr Licht und ihre Wärme mitteilen, ja, die die armen Herzen in Glut verwandeln, um sie Jesus als Rubine für seine Königskrone zu schenken.“ (4)

Es ist daher nicht verwunderlich, daß sein Leben eine ununterbrochene Katechese war, einmal durch das gesprochene, andere Male durch das geschriebene Wort. Aber außerdem galt es,bis zum Gewissen des einzelnen, bis in sein Innerstes vorzudringen, selbst mittels des gedruckten Wortes in Büchern, deren Leser er nicht kannte noch jemals kennenlernen würde. Daher sagt er ihm im Vorwort des Autors auf der ersten Seite vom Weg: „Lies diese Gedanken in Ruhe. Laß dir diese Anregungen durch den Kopf gehen. Es sind Worte, die ich dir leise und im Vertrauen sage als Freund, als Bruder, als Vater. In diesen vertraulichen Gesprächen ist Gott zugegen.“ (Der Weg, Vorwort)

Diese Art zu sprechen, diese Fähigkeit, Millionen von Menschen zu mobilisieren, kann durch keine „Methode“ oder Technik erlernt werden. Seine Lehrweise war diejenige Christi im Umgang mit seinen Aposteln: „Welch ein Zeitverlust, welch eine oberflächliche Sicht der Dinge, wenn man nur auf Taktik vertraut, als ob in ihr das Geheimnis des Erfolges läge. Man vergißt dabei, daß die »Taktik« Gottes die Liebe ist, die grenzenlose Liebe: So überwand Er die unüberwindliche Kluft, die der Mensch durch seine Sünde zwischen Himmel und Erde aufreißt. „(Die Spur des Sämanns, 147)

Es ist unmöglich, die Liebe auf bloße Formeln oder vorgefertigte Sätze zu reduzieren. Deshalb versuchte er, den Meister nachzuahmen: “Noch einmal sage ich es: Bitte den Herrn, Er möge uns, seinen Kindern, die »Sprachengabe« gewähren, das heißt die Gabe, uns bei allen verständlich zu machen. Aus den Berichten des Evangeliums kannst du entnehmen, weshalb ich diese »Sprachengabe« für alle wünsche. Dort begegnen uns zahlreiche Gleichnisse und Beispiele, die die Lehre greifbar und die spirituellen Inhalte anschaulich machen, ohne das Wort Gottes herabzuwürdigen oder zu verzerren.

Allen - Gelehrten wie Ungelehrten - fällt das Bedenken und Erfassen der göttlichen Botschaft leichter, wenn sie durch verständliche Bilder zu uns gelangt.“ (Im Feuer der Schmiede, 895)

Die von ihm vermittelte Botschaft war die, daß die Heiligkeit nicht für Privilegierte ist, sondern ihren Raum im normalen Alltag hat. Daher konnten auch die gewöhnlichsten und alltäglichsten Dinge dazu dienen, höhere Wahrheiten zu erhellen.

Um über die Dinge der Erde zu sprechen, muß man Techniken erlernen, sie abwägen, viele Mittel einsetzen... Aber die Sprache und die „Taktik“, um die Seelen zu Gott zu führen, ist anderer Art. Sie kann von allen verstanden werden, egal welche Sprache jeder Zuhörer spricht, welcher Rasse oder Nationalität er zugehört. Denn „wir alle müssen dieselbe Sprache sprechen, jene, die uns unser Vater lehrt, der im Himmel ist: die Sprache des Zwiegesprächs Jesu mit seinem Vater, die Sprache, die man mit dem Herzen und dem Verstand spricht, die Sprache... Es ist die Sprache kontemplativer Menschen, die ein spirituelles Leben führen, weil sie sich ihrer Gotteskindschaft bewußt geworden sind. Eine Sprache, die sich in Impulsen des Willens, in Erleuchtungen des Verstandes, in Regungen des Herzens und in Entscheidungen zum rechten Leben, zum Guten, zur Freude und zum Frieden kundtut“ (Christus begegnen, 13).

Er selbst vertraut uns im folgenden Text an, warum seine Verkündigung des Evangeliums so fruchtbar war, warum er es schaffte, daß seine Botschaft bei den Menschen ankam: „Danke dem Herrn aus ganzem Herzen für die beiden wunderbaren und zugleich furchterregenden Kräfte, mit denen Er dich ausgestattet hat, als Er dich erschuf: für Verstand und Willen. Wunderbar sind diese Vermögen, weil sie dich Gott ähnlich machen; und furchterregend sind sie, weil es Menschen gibt, die sie gegen ihren Schöpfer benutzen.

Ich kann meine kindliche Dankbarkeit gegenüber Gott, unserem Vater, nicht anders ausdrücken, als daß ich Ihm - jetzt und immer wieder - sage: »Serviam!« - Ich will Dir dienen!“ (Im Feuer der Schmiede, 891)

Seine Liebe zu Gott befähigte ihn, sich in die Lage eines jeden zu versetzen und sich dabei aller Kommunikationsmittel auf wirksame und zugleich natürliche Weise zu bedienen.Daher ist er ein Modell, was den Umgang mit den Medien betrifft. Er hatte noch keine elektronischen Medien zur Verfügung, denn es gab sie damals nocht nicht, und doch gelangte seine Botschaft überall hin und bewegte das Gewissen und das Herz derer, die sie hörten. Er wußte aus Erfahrung, daß „die Liebe Christi nicht bloß ein Gefühl des Wohlwollens gegenüber dem Nächsten ist, sie ist nicht lediglich eine philanthropische Laune. Die Liebe, die Gott der Seele eingießt, verwandelt Verstand und Willen von innen her, sie gibt der Freundschaft und der Freude an guten Werken eine übernatürliche Grundlage (Christus begegnen, 71).

Seine Stimme und seine Schriften waren kein anonymes Kommunikationsmittel wie eine Nachrichtenagentur, eine Tageszeitung oder ein Werbeplakat. Auch ohne ihn je gesehen oder kennengelernt zu haben, weiß der, welcher etwas von ihm liest, daß ein Freund, ein Bruder, ein Vater zu ihm spricht, der nie lügt und der weiß, was der Leser braucht. Darum ist er auch dankbar für den Rat und fühlt sich innerlich bewegt. Diese persönliche Beziehung von Herz zu Herz, eine Frucht der Liebe zu Gott, ist das Geheimnis seiner Wirksamkeit.

Dr. Ramón Herrando ist Regionalvikar des Opus Dei in Spanien.

1) Persönliche Aufzeichnungen, Nr. 877. Zit. von Vázquez de Prada, A., Der Gründer des Opus Dei, Bd. 1, Adamas Verlag, Köln 2001, S. 460/61

2) Ebd., Nr. 1696. Zit. von Vázquez de Prada, A., o.c., S. 461

3) Vázquez de Prada, A., o.c., S. 526ff

4) Im Feuer der Schmiede, aus dem Vorwort von Bischof Alvaro del Portillo

Vorstellung der Dokumente des Symposions “Der heilige Josefmaria und die Kommunikation”, Fundación Catalina Mir, Jaén (Spanien) 2006