Der Heilige ist immer jung

Die Jugend bestimmt sich durch mehr als nur eine geringe Anzahl von Jahren. Es ist eine Haltung dem Leben und dem Tod gegenüber, die Frische und Freude ausstrahlt. Sein ganzes Leben lang wollte der hl. Josefmaria als jung angesehen werden. Er pflegte zum Beispiel zu sagen, daß er böse würde, wenn jemand ihn an seine siebzig Jahre erinner wollte, da er doch nur sieben sei... Diese Zahl zeigte er dann mit seinen Fingern an.

Man könnte viele, allen Heiligen gemeinsame, charakteristischen Merkmale genauer unter die Lupe nehmen, denn bei aller Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Heiligen, die die Kirche uns vorstellt, gibt es doch einige Züge, die bei keinem von ihnen fehlen dürfen. Das Charakteristikum, auf das ich heute eingehen möchte, ist die Jugendlichkeit, der jugendliche Geist, denn die Jugend bestimmt sich durch mehr als nur eine geringe Anzahl von Jahren. Es ist eine Haltung dem Leben und dem Tod gegenüber, die Frische und Freude ausstrahlt. Diesen Geist besitzen alle Heiligen, auch die, die ein hohes Alter erreicht haben, wobei er natürlich in einigen ausgeprägter ist als in anderen. Das Geheimnis dieser jugendlichen Haltung liegt in ihrem Umgang mit Gott. Aus ihm schöpfen sie das Vertrauen, die „Frechheit“, die Sicherheit und den Optimismus eines Menschen, der sich in guten Händen, immer beschützt und grenzenlos geliebt weiß. Durch diese Beziehung eröffnet sich dem Heiligen vor allem, daß Gott Vater ist – und die gleiche Entdeckung läßt er auch andere machen. Ganz ausdrücklich wies uns Christus auf diese Tatsache hin, von der er häufig spricht und die besonders klar zum Ausdruck kommt, als er auf die Bitte seiner Jünger eingeht, sie beten zu lehren: „So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel...“1. Ein guter Sohn wird auch als Erwachsener diese Haltung der vertrauensvollen Sicherheit und des kindlichen Sich-Überlassens seinem Vater gegenüber wie selbstverständlich bewahren. Er weiß ja um dessen Liebe und Hilfsbereitschaft in jeder, selbst der schwierigsten Lage.

Der jugendliche Geist des heiligen Josefmaria

Sein ganzes Leben lang wollte er als jung angesehen werden. Er pflegte zum Beispiel zu sagen, daß er böse würde, wenn jemand ihn an seine siebzig Jahre erinner wollte, da er doch nur sieben sei... Diese Zahl zeigte er dann mit seinen Fingern an. Ihm gefielen die Gebete zu Beginn der Messe, die vor der Liturgiereform zu Füßen des Altares gebetet wurden: Ad Deum qui laetificat iuventutem meam...2 Das alles läßt es auch ziemlich verständlich erscheinen, daß Gott den heiligen Josefmaria sehr früh die staunenswerte und tröstliche Wahrheit entdecken ließ, daß Er Vater ist. Gewiß weist jede Institution der Kirche diesen geistlichen Zug der Gotteskindschaft auf, aber der Gründer des Opus Dei vertiefte sich dergestalt in diese Wahrheit, daß Gott sie ihn als Fundament der Spiritualität erkennen ließ, die er dann verkündete.

In der Person von Josemaría Escrivá äußerte sich der jugendliche Geist beispielsweise in der Natürlichkeit im Handeln und im Umgang mit anderen. Während der fünfundzwanzig Jahre, in denen ich das Glück hatte, Zeuge seines Lebens zu seinen und ihm bei vielen Gelegenheiten persönlich zu begegnen, fiel mir bei ihm niemals aufgesetztes Verhalten oder affektiertes Sprechen auf. Er besaß die Schlichtheit eines kleinen Kindes, das in jedem Augenblick sagt und tut, was ihm angebracht scheint. Da es keine Angst vor dem Urteil anderer hat, verhält es sich allen gegenüber geradeheraus, unkompliziert und ungekünstelt. Er legte uns immer wieder ans Herz, keine falsche Rücksicht auf Menschen zu nehmen, wenn es darum geht, jemanden zu Gott zu führen oder unsere Pflicht zu tun. Ich erinnere mich gut an den Tag, als ich 1963 in Rom ankam, wo ich in einem internationalen Bildungszentrum für Frauen des Opus Dei unterrichten sollte. Der Vater bat mich zu sich, zusammen mit einigen anderen. Er schärfte uns damals ein, daß es ab jetzt hieß, intensiv zu studieren, was uns bis dahin wegen anderer Aufgaben nicht möglich gewesen war. Es waren schon bedeutungsvolle Minuten von besonderem Ernst, aber er sprach keineswegs mit übertriebenem Pathos. Im Gegenteil, seine Worte waren so getränkt von gesundem Menschenverstand, gespickt mit originellen und lustigen Ausdrücken, daß ich mir kaum das Lachen verkneifen konnte, obwohl es wirklich nicht der Moment dazu war.

Kinder sind meist optimistisch. Sie sind voller Hoffnung, da sie wissen, daß sie bei allen Schwierigkeiten mit ihren Eltern rechnen können, die eine Lösung für sie finden werden. Der heilige Josefmaria hatte zeit seines Lebens eine optimistische Sicht der Dinge, die nicht zu trennen war von seiner übernatürlichen Perspektive. Der Optimismus des Christen ist nämlich keine Leichtfertigkeit oder Vermessenheit, sie erwächst aus der übernatürlichen Sicht, d.h. aus dem Glauben und der Hoffnung. Er weiß, daß alles gut gehen wird, weil letztlich Gott über das Schicksal jedes Menschen entscheidet. Bei denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Guten3, wiederholte er häufig mit dem heiligen Paulus. Außerdem hatte Msgr. Escrivá die Gabe, andere mit diesem Optimismus anzustecken, vor allem seine Kinder. Seit ich Mitglied im Opus Dei bin, war ich bei vielen schwierigen Anfängen dabei, denn die meisten Initiativen und Projekte begann man ohne jegliche Erfahrung und mit recht wenigen wirtschaftlichen Mitteln, so z.B. ein Hauswirtschaftliches Ausbildungszentrum, die Krankenschwesternschule in Pamplona, die Anfänge der apostolischen Arbeit des Opus Dei in der Schweiz... Zu wissen, daß der heilige Josefmaria das von mir erwartete, weil Gott es von ihm erwartete, genügte, damit ich mir des „Erfolgs“ des jeweiligen Projektes sicher war.

Ein Optimist ist logischerweise ein froher Mensch, so wie auch die Kinder fröhlich sind. Der Gründer des Opus Dei war immer froh und dazu fähig, Menschen in den härtesten Augenblicken zum Lachen zu bringen. Dieser Charakterzug ist bei ihm so auffällig, daß ein Buch mit Erinnerungen an Josemaría Escrivá den Titel Maestro de buen humor4 (‚Meister der guten Laune’) trägt.

Die Jugend hat ein weites Herz, sie stellt hohe Ansprüche an sich, sie möchte Großes vollbringen, etwas aus ihrem Leben machen. Der heilige Josefmaria hoffte, an das höchste Ziel zu kommen, das man überhaupt erreichen kann: die Heiligkeit. Meine Generation mußte in jungen Jahren zwei Kriege erleben: den spanischen Bürgerkrieg und den Zweiten Weltkrieg. Diese erschütternden Erfahrungen von Leid und Tod hatten zur Folge, daß wir uns die Frage nach dem Sinn des Lebens mit besonderer Eindringlichkeit stellten. Das war auch bei mir so. Um etwas Sinnvolles in meinem Leben zu tun – das mir sehr kurz vorkam –, entschloß ich mich, Medizin zu studieren. Das war die einzige Möglichkeit, die sich mir in meinem damaligen Horizont präsentierte. Bis ich eben das Opus Dei kennenlernte... Da entdeckte ich in dem, was Josemaría Escrivá verkündete, das einzig Sinnvolle: für Gott zu leben, alles für Ihn zu tun und Menschen für Ihn zu gewinnen. Das war wirklich das Höchste, auf dessen Verwirklichung man sich einlassen konnte.

Der folgende Vorfall illustriert dies meines Erachtens recht gut: In meiner Zeit in Pamplona, als ich in der Krankenschwesternschule des damaligen Studium Generale von Navarra – welches später als staatliche Universität anerkannt wurde – arbeitete, ging ich einmal zusammen mit der Chefin der Schwestern zum Dekan, dem inzwischen bereits verstorbenen Juan Jimenes Vargas. Mit ihm wollten wir über die Möglichkeit eines eigenen Gebäudes in der Klinik von Navarra sprechen. Man hatte uns einen völlig heruntergekommenen Pavillon angeboten, welcher vom Architekten als unbrauchbar deklariert worden war. Da wir aber kein Geld für etwas anderes hatten, waren wir ziemlich niedergeschlagen. Juan Jimenes Vargas, ein wortkarger Mensch, zog daraufhin ein Stück Papier aus der Tasche und begann, es mit der Hand glattzustreichen. Wir wollten natürlich wissen, was es war. Dr. Vargas hatte den heiligen Josefmaria während des spanischen Bürgerkriegs auf seiner Flucht durch die Pyrenäen begleitet und bewahrte seit dieser Zeit eine Art Übersicht auf, die dieser schon damals über die Organisation der künftigen Universität von Navarra entworfen hatte, welche selbstverständlich nur in seinen Träumen existierte! Der Heilige ist nämlich wie das Kind ein Träumer, selbst wenn er wie der heilige Josefmaria ein sehr realistischer Mensch ist. Natürlich war unsere Mutlosigkeit auf der Stelle wie weggeblasen!

Die Jugend sucht Antworten auf die elementaren Fragen: Was ist der Sinn des Lebens, des Todes, des Leidens. Durch die verschiedenen Biographien über den Gründer des Opus Dei weiß man, daß auch er diese Unruhe kannte, obwohl er sich schon als kleiner Junge bei jedem großen Schmerz, beispielsweise dem Tod von drei seiner Schwestern und dem Konkurs des väterlichen Geschäftes, am lebendigen Glauben seiner Eltern festgehalten hatte. Ich hatte jedoch keine religiöse Bildung erfahren und fand daher auch keine Antwort auf diese Fragen, bis ich durch die Verkündigung des heiligen Josefmaria in die Lage versetzt wurde, den Wert des Leidens in seiner ganzen Tiefe zu erfassen. Für mich als evangelischer Christin gab es nur die eine Erklärung aus dem Vaterunser: „Dein Wille geschehe“5. Aber das genügte mir nicht. Als ich von einigen Kommilitoninnen der medizinischen Fakultät den Weg zu lesen bekam, machte ich die Entdeckung, daß Schmerz und Leid für den Christen viel mehr sind: Sühne für die eigenen und fremden Sünden und vor allem, mit Christus am Kreuz hängen, ihn nicht allein lassen... kurz: wir können aus Liebe leiden. Ich glaube, das war eine der sensationellsten Entdeckungen meines Lebens.

Die Jugend träumt von Liebe, von einer großen und reinen Liebe, die keinen Verrat übt, die nie aufhört. Der heilige Josefmaria hatte sie in Christus gefunden und setzte sein Leben ein, sie anderen erfahrbar zu machen – und so auch mir. Den Ruf Gottes zu entdecken, das, was wir Katholiken Berufung nennen, war etwas Unerhörtes, Unsagbares, das mich damals glücklich machte und es auch heute noch tut. Diese Liebe zu finden, bedeutet gleichzeitig, einen endgültigen Lebensentwurf vorzunehmen, dem eigenen Leben eine Richtung zu geben, die uns seinen Sinn immer tiefer erkennen läßt. Das vermittelt dem jungen Menschen eine ungeheure Sicherheit und weckt Entscheidungen zum totalen Engagement. Man wird sich bewußt, daß es sich lohnt, für diese Liebe alles, selbst das Leben hinzugeben – wobei die Überzeugung wächst, daß alles immer wenig sein wird. Die Jugend ist großzügig, sie schenkt sich selbst ohne Vorbehalt6. Sie ist nicht berechnend und kleinlich. Der heilige Josefmaria war und handelte sein ganzes Leben lang so, daher war er immer jung und ist ein absolut überzeugendes und hilfreiches Vorbild für jeden.

Maria Casal ist von Nationalität Schweizerin, sie wurde in Guillena (Sevilla) geboren, machte in der französischen Schule von Sevilla Abitur und studierte dann ein Jahr Hauswirtschaft in der Schweiz. In Barcelona erwarb sie den Doktortitel in Medizin und war anschließend die erste Direktorin der Krankenschwesternschule der Universität von Navarra. Seit 1965 lebt sie in der Schweiz. 1967 erwarb sie das Diplom als Berufsberaterin. Sie gab in Zürich in verschiedenen Bildungseinrichtungen Religionsunterricht und hat in Kulturzentren und Studentenheimen Erziehungsaufgaben wahrgenommen.

Anmerkungen

1. Mt 6, 9

2. Ps 42, 4

3. Röm 8,28

4. J.L.Soria, Maestro de buen humor, Madrid 1993

5. Mt 6, 10

6. Vgl. Der Weg, 30

Kongressakten „Die Größe des Alltags“ (Rom 2002)