Alvaro del Portillo - eine Erinnerung anlässlich seines Todestages

Am 23. März 1994, einige Stunden nach seiner Rückkehr von einer Pilgerreise durch das Heilige Land, nahm Gott Bischof Alvaro del Portillo, den Prälaten des Opus Dei und ersten Nachfolger seines Gründers Josemaria Escrivá zu sich. Flavio Capucci erinnert sich in diesem Zusammenhang an eine interessante Äußerung des Prälaten.

Am 23. März 1994, einige Stunden nach seiner Rückkehr von einer Pilgerreise durch das Heilige Land, nahm Gott Bischof Alvaro del Portillo, den Prälaten des Opus Dei und ersten Nachfolger seines Gründers Josemaria Escrivá zu sich. Flavio Capucci erinnert sich in diesem Zusammenhang an eine interessante Äußerung des Prälaten.

Kurze Zeit nach dem Tod von Bischof Alvaro Alvaro del Portillo rief Flavio Capucci eine wenig spektakuläre, aber bezeichnende Äußerung von ihm in Erinnerung, die dieser eines Tages ihm gegenüber im Vertrauen gemacht hatte: „Mein Sohn, jetzt kann ich das nunc dimittis anstimmen... Ich hatte drei Dinge zu erledigen, bevor ich sterbe, und sie sind schon fertig.“ Die folgenden Zeilen fassen die Eindrücke zusammen, die Flavio Capucci 1994 von diesem Gespräch festhielt.

Der Schatten des Vaters

Ich schreibe, innerlich noch sehr bewegt von dem unerwarteten Verscheiden S. Em. Bischof Alvaro del Portillo, dem Prälaten und geliebten Vater aller Mitglieder des Opus Dei, das die Wunde, die der Tod des [heiligen] Josemaría in unserer Seele hinterlassen hatte, wieder aufgerissen hat. Wer die zarte und zugleich kraftvolle Liebe des Vaters (Bischof Alvaro del Portillo) erfahren hat, weiß, daß wir uns ebensowenig an die physische Trennung von seinem Nachfolger gewöhnen werden. (...)

An dieser Stelle möchte ich ein für mich bedeutsames Gespräch in Erinnerung rufen. Es handelt sich um eine Unterhaltung, deren Umstände in diesen Augenblicken ein besonderes Echo hervorrufen, deren Inhalt aber weit über die Gegenwart hinausreicht. Es war das einzige Mal, daß der Vater mir gegenüber von seinem Tod sprach. Den Tag kann ich nicht mit Sicherheit festlegen; auch fehlte mir die Ruhe, um Unterlagen zu suchen, anhand derer ich präzise Angaben machen könnte. Es muß während der letzten Monate des Jahres 1985 oder Anfang 1986 gewesen sein, als der Prozeß über das Leben und die Tugenden des Gründers in Rom fast abgeschlossen war. (...)

Eines Tages also kam der Vater (Bischof Alvaro del Portillo) in unser Büro. Er verfolgte unsere Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Heiligsprechungsverfahren aus allernächster Nähe, ja, er war die Seele des ganzen Unternehmens: von ihm kamen Ratschläge und Hinweise, die für uns ungemein wichtig waren, denn schließlich war er 40 Jahre lang der engste Mitarbeiter des [heiligen] Josemaría gewesen. Und mit seinem hervorragenden Gedächtnis war er in der Lage, jedwedes Verständnisproblem zu lösen, das wir im Zusammenhang mit der Bearbeitung der vorliegenden Texte hatten. An jenem Tag saß ich allein in meinem Büro am Schreibtisch. Der Vater trat ein, setzte sich mir gegenüber und wir begannen ein Gespräch. Ich erinnere mich nicht an den Gegenstand unserer Unterhaltung, aber ich kann genau wiedergeben, was er mir am Ende völlig unerwartet anvertraute.

Nicht wörtlich, aber inhaltlich sagte er zu mir: „Mein Sohn, nun kann ich das nunc dimittis anstimmen.“ Diesen bekannten jüdischen Hymnus sang der greise Simeon, von dem der heilige Lukas im zweiten Kapitel seines Evangeliums berichtet. Er hatte einzig und allein in der Erwartung gelebt, daß sich die Verheißung des Heiligen Geistes erfüllen würde, nach der er den Tod nicht schauen sollte, bevor er nicht den Messias gesehen habe. Als nun Maria und Josef das Jesuskind in den Tempel brachten, um es dem Herrn darzustellen, nahm er mit diesem Hymnus voller Freude den Tod an. In diesem Sinne also sagte der Vater, daß sich der Sinn seines Lebens erfüllt habe. „Aber Vater, wo denken Sie hin? Warum? Es bleibt noch so viel zu tun!“ sagte ich daraufhin. „Nein, ich hatte drei Dinge zu erledigen, bevor ich sterbe, und sie sind schon fertig“, und er begann, sie aufzuzählen. Auch wenn ich etwas ausführlicher darüber sprechen werde, so waren doch seine eigenen Worte kurz, klar und ohne weiteren Kommentar: „Es war äußerst wichtig, daß das Werk endlich die ihm gemäße Rechtsform als Prälatur erhielt; ich mußte mein persönliches Zeugnis im Rahmen des Heiligsprechungsverfahrens für unseren Vater [den heiligen Josemaría] abschließen; und es war mir ein dringendes Anliegen, seine persönlichen Aufzeichnungen mit den nötigen Anmerkungen zu versehen. Das alles ist bereits geschehen.“ Mehr sagte er nicht.

Es bedarf sicher der einen oder anderen Erklärung, denn diese Bemerkung über seinen Tod läßt erkennen, worin er den Sinn seines Lebens sah: er wollte wie der Schatten unseres Vaters sein und verschwinden, nichts Eigenes hinzufügen, sondern allein den Gründer den begonnenen Weg fortsetzen lassen.

Zum einen fühlte er sich verpflichtet, vor seinem Tod die Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl bezüglich der Umwandlung des Opus Dei in eine Personalprälatur abzuschließen. Dieses Ziel wurde am 28. November 1982 erreicht. Damals mündete der rechtliche Weg des Werkes in die Gestalt, die am besten dem Wesen der uns von Gott geschenkten Berufung in der Kirche entspricht. Der Gründer selbst hatte genau diese Form ins Auge gefaßt und bereits vor vielen Jahren mit den nötigen Vorbereitungen begonnen. (...) Jedoch hatte er die Verwirklichung dieses Vorhabens, für das er so lange gebetet, gelitten und gearbeitet hatte, nicht mehr erleben dürfen. Die Tatsache, daß für den Vater diese Aufgabe die erste Stelle innerhalb seiner Verpflichtungen einnahm, war ein beredtes Zeichen für die Verantwortlichkeit, mit der er die Nachfolge des Gründers angetreten hatte. (...)

Die beiden anderen Gründe, deretwegen der Vater seine Aufgabe auf der Erde als erfüllt ansah, werfen ein noch klareres Licht auf sein Verantwortungsbewußtsein. Aufgrund einer neuen Gesetzesvorlage für die Heiligsprechungsverfahren konnte der Vater seine Erinnerungen in schriftlicher Form festhalten. Im Laufe der vierzig Jahre an der Seite des [heiligen] Josemaría hatte er sich Notizen über alle ihm wichtig und bedeutsam erscheinenden Ereignisse gemacht. Anhand dieser Unterlagen schrieb er sein Zeugnis nieder, das mehr als 2.000 Schreibmaschinenseiten umfaßt; man kann sich unschwer vorstellen, daß diese Aussagen die hauptsächliche Quelle darstellten, als es darum ging, das Leben des Gründers zu rekonstruieren und aufzuzeigen, in welch heroischem Maße er alle Tugenden geübt hatte.

Die persönlichen Aufzeichnungen sind handschriftliche tagebuchähnliche Notizen aus verschiedenen Lebensabschnitten des [heiligen] Josemaría. In acht Heften hat er die Eingebungen festgehalten, die Gott ihm im Gebet schenkte; durch diese Eintragungen gab er sich Rechenschaft über die seelsorglichen Erfahrungen aus den ersten Zeiten des Werkes und über die möglichen Wege, die sich für seine zukünftige Entfaltung abzeichneten. Viele dieser Notizen spiegeln das geistliche Leben eines heiligmäßigen Menschen wider und lassen die mystischen Gnaden erahnen, durch die Gott sein Instrument formte; andere Aufzeichnungen geben seine Gedanken über die Schritte wieder, die er unter der Leitung der göttlichen Vorsehung machte. Aus der unmittelbaren Erfahrung des Protagonisten heraus werfen sie ein Licht auf den Inhalt des Charismas, das Gott ihm zum Aufbau der Kirche anvertraut hatte. (...)

Bischof Alvaro del Portillo hatte die Abfassung seiner Zeugenaussage sowie die Niederschrift der Anmerkungen gerade beendet. Als er mir daher anvertraute, daß er das Ziel seines Lebens erreicht habe, bekräftigte er damit indirekt, daß sein einziger Ehrgeiz darin bestand, uns das Verständnis dessen zu erleichtern, was Gott in der Seele unseres Gründers gewirkt hatte und damit auch unsere eigene Berufung und die Sendung des Opus Dei innerhalb der Kirche besser zu verstehen. Wer dem Vater (Bischof Alvaro del Portillo) einmal begegnet ist, kann bestätigen, daß er nie von sich oder seinen Neigungen sprach und keine eigenen Programme verkündete. Er wollte wirklich nur der Schatten unseres Vaters sein, denn er war überzeugt davon, daß der [heilige] Josemaría Escrivá von Gott für eine spezifische Sendung innerhalb des Evangelisierungsauftrags auserwählt worden war. Er selbst, der Vater, war völlig unwichtig. Und so gab er wirklich das Beispiel eines Hirten, der die Menschen zu Christus und nicht zu sich selbst führt.

So gibt diese kurze vertrauliche Bemerkung Zeugnis von einem ganzen Leben. Sie zeichnet das Bild eines Menschen und Priesters, der an erster Stelle ein Beispiel der Treue gegeben hat. Er hat sich treu an das gehalten, was er nach seiner Wahl zum Nachfolger des Gründers seinen Töchtern und Söhnen im Opus Dei schrieb: „Einstimmig bin ich armer Mensch gewählt worden, ich, der ich nichts wert bin, nichts habe, nichts kann, nichts bin... Wenn schon unser Vater das von sich sagte, was soll ich dann von mir sagen. Ich bin absolut beschämt! Wenn eure Brüder und Schwestern mich gewählt haben, dann, weil ich länger als jeder andere an der Seite unseres Vaters gelebt habe und weil sie die Kontinuität wollten. Es fällt mir nicht schwer, euch das zu sagen. Auch wenn ich mich nicht ganz kenne, kenne ich mich doch gut genug, um sicher zu sein, daß man nicht mich, also meine Person, sondern einstimmig unseren Vater gewählt hat. Ihn wollte man wiederwählen. Jeder eurer Brüder hätte genauso treu Verantwortung für das Werk übernommen. Aber sie haben daran gedacht, daß ich immer an der Seite des Vaters [des heiligen Josemaria] war und Tag für Tag hörte, was er mir im Vertrauen sagte. Daher mußte es für mich – trotz meiner Wenigkeit – leichter sein, das Werk fortzuführen und dafür zu sorgen, daß alles gleich blieb.“ (Brief vom 30. 9.1975, Nr. 47)

Flavio Capucci war Postulator des Heiligsprechungsverfahrens für den heiligen Josefmaria und für Bischof Alvaro del Portillo

Erschienen in Studi Cattolici Mailand (Italien), Mai 1994